Es war die gleiche ausweglose Situation wie jeden Mittag. Peter Danten stand in seinem weiß gekachelten Badezimmer, die Hände auf das blankgeputzte Waschbecken mit den glänzenden Edelstahlarmaturen gestützt, und wusste weder ein noch aus. Mit einem Ausdruck purer Verzweiflung im Gesicht blickte er auf den kleinen Sims aus italienischem Marmor, auf dem die Ursache seines täglichen Ungemachs stand: Zwei Tuben Markenzahnpasta, so unscheinbar und doch in der Lage, Herrn Danten immer wieder aufs Neue den halben Nachmittag zu ruinieren. Morgens aronal und abends elmex. So hatte Herr Danten es in der Werbung eingebläut bekommen. So war es auch auf der kleinen Kunststoffhalterung aufgedruckt, in der die beiden Tuben – die flache Seite exakt parallel zur Wand ausgerichtet – nebeneinaner auf dem Sims standen. Und daran hielt sich Herr Danten auch. Jeden Tag. Und jeden Tag ärgerte er sich, dass es nicht den kleinsten Hinweis gab, mit welchem Mittel man als verantwortungsbewusster Zahnträger seine Beißer zur Mittagszeit pflegen sollte.
Er hatte schon so vieles probiert, um aus dieser Situation zu entkommen. Manchmal hatte er beide Pasten in einem kleinen Tiegel, den er sich in der Apotheke seines Vertrauens gekauft hatte, gemischt. Doch leider passten die beiden Sorten sowohl farblich (die eine hatte einen leichten Gelbstich, was die Farbe der Mischung in den Augen unseres Herrn Danten erheblich beeinträchtigte), geschmacklich (auch wenn Herr Danten es nicht in Worte fassen konnte – irgendeine Nuance störte ihn am kombinierten Geschmack) als auch in ihrer Wirkung (schließlich sollte die eine die Zähne mineralisieren und die andere das Zahnfleisch stärken – nicht auszudenken, wenn die Mischung nun die Zähne stärken und das Zahnfleisch mineralisieren würde) überhaupt nicht zusammen.
An anderen Tagen hatte Herr Danten nach langem, qualvollen Zögern (wer weiß, welch fatale Folgen die Entscheidung nach sich ziehen konnte) eine der beiden Sorten zweckentfremdet zur falschen Tageszeit angewendet. Für die Entscheidung, welche es sein sollte, hatte er schon verschiedenste Kriterien ausprobiert: Mal nahm er die Tube, in der noch mehr Inhalt vorhanden war (was häufig schwer zu entscheiden war, schließlich benutze er jede pro Tag einmal, und so war meist in beiden gleich viel drin), mal die, die farblich besser zu seiner Kleidung passte (was auch nicht so einfach war, da Herr Danten als pensionierter Supermarkt-Filialleiter einer großen Diskounterkette häufig im Andenken an die alten Zeiten blau-orangene Kleidung trug), und manchmal entschied er sich für die Sorte, deren Name am meisten Buchstaben mit dem jeweiligen Wochentag gemeinsam hatte. Doch immer schwang dann bei seinem Zahnputzvorgang die Sorge mit, dass er sich falsch entschieden haben könnte.
An manchen Tagen stand Herr Danten auch so lange in seinem Badezimmer, unfähig, eine Entscheidung zu treffen, bis es Abend wurde und er ohne Bedenken zur orangenen Tube greifen konnte. Das waren immer die schönsten Tage für Herrn Danten, da ihm so die schwierige Entscheidung abgenommen wurde. Doch leider hatte er vom vielen Stehen in leicht gebückter Haltung (das Waschbecken war etwas zu tief angebracht) mittlerweile leichte Rückenschmerzen, außerdem musste er jeden Mittwochnachmittag zum Skat-Spielen ins Seniorenzentrum – so war also auch diese Lösung nicht sonderlich praktikabel.
Auch heute schien alles wieder seinen gewohnten Gang zu gehen: er stand da, etwas nach vorne gebeugt, und wägte in verzweifelter Routine die Vor- und Nachteile der einzelnen Entscheidungsmöglichkeiten ab. Doch nachdem er eine halbe Stunde so dagestanden war und nachgedacht hatte, da fiel ihm urplötzlich etwas ein. Er hob seinen Kopf, blickte in den goldumrahmten Badezimmerspiegel und erinnerte sich endlich wieder daran, dass er heute Morgen doch beim Zahnarzt gewesen war. Also nahm er seine Zähne, legte sie in ein Glas mit eiskaltem Leitungswasser und warf zwei schöne Corega-Tabs hinterher. Dann stellte er das Glas mit seinem neuen Gebiss auf den Sims, schaute erneut in den Spiegel und lächelte zahnlos.
Nach all den Jahren war die Welt des P. Danten endlich wieder in Ordnung.
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